Zum Leidwesen Ihrer Majestät war der Staat nicht in der Lage, etwas an der Schieflage im Finanzhaushalt aus eigener Kraft zu ändern. Nun sei es zwar nur ein böses Gerücht, so der Herr Hofmarschall zu Ihrer Durchlaucht, dass die gähnende Leere in den Landeskassen durch die Verschwendungssucht des gesamten Hofes zustande gekommen sei. “Doch”, so sprach er mutig aus, was andere nicht einmal zu denken wagten, “Wäre es sicherlich nicht das Schlechteste an den Ausgaben, die am Hofe zu reinem Vergnügen getätigt werden, zu sparen.” “Denn”, so fuhr er unbeirrt fort, “ der immense Schuldenberg wird nicht allein durch eine Erhöhung der Steuergelder und das Knechten Eurer Untertanen abzutragen sein.”
Kaum war das letzte Wort ausgesprochen, geriet der Fürst derart in Rage, dass sämtliche versammelten Personen entweder betreten zu Boden blickten, sich langsam gen Saaltür bewegten, um die Flucht zu ergreifen oder zu Ihrer Majestät eilten, um beschwichtigende Worte zu murmeln. Doch Hoheit war derart außer sich und schrie, dass das chinesische Porzellan klirrte und drohte zu zerbersten “Hinfort mit dem Kerl, der es wagt, das Leben bei Hofe in den Dreck zu ziehen. Man lege Ihn in Ketten, dass Er es nicht mehr wage, in meiner Gegenwart solche dreisten Worte von sich zu geben.”
Der Herr Hofmarschall jedoch ward ganz ruhig geworden und sprach mit leiser, aber fester Stimme: “Nichts läge mir ferner als Euch, Hoheit, zu erzürnen oder Euren Namen in den Schmutz zu ziehen. Doch sehe ich es als meine Pflicht an Euch, Herr dieser Länderein, davor zu warnen, Euch in Euer eigenes Unglück zu stürzen. Was tut es Not, wenn es ein paar der Schmeichler und Gecken weniger bei Hofe durchzufüttern gilt, die nur auf Euren Festen fressen und saufen und sich an Euren Mätressen gütlich tun? Wieviele Gulden könntet Ihr, oh Herr, in Eurer Schatzkammer horten, hättet Ihr nicht diesen Schmerbauch an wollüstigem und feierwütigem Gesindel um Euch herum, das Ihr nährt, ohne dass es Euch jemals eine Gunst erwiesen hätte?”
Eure Hoheit jedoch, in seiner Wut blind und dumm, verstand die Worte seines klugen Kanzlers nicht. Feindselig blickte er dem Mann entgegen, der so mutig gewesen war, seinem Fürsten die Wahrheit in das Anlitz zu sprechen. “Führt ihn ab, “sagte der König kalt, “morgen wird die Guillotine auf ihn warten.” Der anwesende Hofstaat fiel in Jubel ein und beklatschte die grausame Entscheidung seines Herrschers. Der zum Tode Verurteilte jedoch verzog keine Miene, zeigte sich nicht reumütig oder bat gar um Vergebung. Der Herr Hofmarschall blickte in das Auge des zornigen Fürsten und sprach “Majestät, es stimmt mich nachdenklich, dass ich mich so in Euch habe täuschen können, hielt ich Euch doch für einen Herrscher voller Güte und Weisheit. Da Ihr aber nichts als ein ebenso der Völlerei, Hurerei und Dummheit verschriebener Günstling wie Euer Hofstaat seid, so will und kann ich an diesem Hofe nicht länger weilen und will dem Tod mit festem Blick entgegentreten – der Menschlichkeit wie der Klugheit willen. Euch aber gebe ich ein Zitat mit auf den weiteren Lebensweg, der von Schlechtigkeit und Verblendung gekrönt sein wird:
Er aber, sag’s Ihm, Er kann mich im Arsche lecken!
J.W. Goethe. Götz von Berlichingen. Dritter Aufzug. (um 1773)