Jedes Jahr, wenn der März sich aus dem Winterpelz schält, kommen Tulpen. Überall präsent knospet diese Farbenpracht und will sich mit viel, viel Wasser in einer Vase entfalten. Und ich brauche es. Diese Blume, die so unersättlich nach dem Nass giert, um in voller Blüte zu stehen – ohne falschen Stolz, aber mit echtem Selbstbewusstsein. Die Tulpe, sie schreit geradezu danach, wahrgenommen zu werden und ist sich ihrer Symboltracht ganz und gar bewusst.
Also lege ich einen Strauss aus roten und weißen oder gelben und lilanen Tu Lips zusammen, bringe beide Sorten liebevoll in einem Glasgefäß zusammen, in noch geschlossenem Zustand. Doch am nächsten Morgen schon recken und strecken sich die Köpfchen gen Oben, sie wollen heraus, strotzen nur so vor Kraft und Ich-Zeig-Mich-Gerne. Auf die Bühne der Augenblicke, das ist das Ziel, eitel das pflanzliche Geschöpf und lieben muss man sie, die Blüte voll knallfrohem Lebens.
Und sie enttäuscht nicht, diese Blume. Sie zeigt all die Gefühle, all das Zarte und Zielstrebige, alles was schön und dann welk ist. Sie ist stark in der Wirkung, nachhaltig und verbunden mit dem Moment des unbedingten Schönen und dabei erschreckend schnell vergänglich. Und obwohl es Tulpenfelder gibt, ist sie einzigartig in ihrer Art und meiner Art so viel näher, als eine Rose es je sein könnte.
Eine Tulpe öffnet ihr Herz, sie ist farbig und strebt zu Höherem, sie ist vergänglich und zugleich immer wieder. Ihre Lebensdauer ist kurz, kostbar, saisonal und wiederkehrend. Das macht sie – die Tulpe – zu einer Herzensangelegenheit. Denn jedes Jahr, von März bis Mai, steht sie erst aufrecht mir zum Vergnügen und vergeht dann, nicht ohne dass ich eine heiße Träne vergieße. Das macht sie nicht zur Königin aller Blumen, sondern zur besten Vertrauten. Immer wieder. Immer neu. Immer im Frühling.