Das Buch der Dinge

Streichholz

Mein Kopf war schon immer feuerrot. Doch jetzt brennt er. Reibung hat dafür gesorgt, dass er lodert. Ich neige meinen Kopf, küsse den Docht. Der Funke will zunächst nicht überspringen, doch dann züngelt die Flamme bei meinem Gegenüber, wird größer, heller, während ich langsam vergehe. Ich hauche meinen letzten Schwefelatem aus. Mein Kopf ist kohlrabenschwarz und brüchig. Er wird nicht mehr gebraucht.

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Hasard100

Deputat

 

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Hart schleifen die Kurven ihrer Schlittschuhe über die frisch geglättete Eisfläche. Mit elegantem Schwung dreht sie sich um die eigene Achse und er fängt sie auf, während sie weich an seiner Seite hinuntergleitet, fast wie geschmolzenes Eis. Sie kniet.

Sein Deputat endet heute. Er hat ihr alles gezeigt, was sie braucht, um den Sieg davonzutragen. Nun wird er sie im freien Fall nicht wieder auffangen. Sie tanzt allein über das Eis.

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Hasard100

Philologe

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Eine Träne kullert über die rosige Wange des kleinen Franz. Zornig blickt er den Vater an, der ihn so jäh aus der Volksschule gerissen. Ein Bauer sollte der Sohn werden, so wie er. Die Hände des Jungen seien dazu gemacht, so der Vater, um die Früchte des Ackers zu ernten und nicht um die Seiten eines Buches umzuschlagen.

Doch der kleine Franz ist Philologe, seine Liebe zur Sprache ist unermesslich. Lehrer wird er, der Bauernsohn.

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Auslese

Unser Triumph

Das Leben vibriert und liegt unter der gelblackierten Haube des Triumphs.
Das Leben zittert vor Glück und tritt auf das Gaspedal unter dem hölzernen Armaturenbrett des Triumphs.
Das Leben spuckt Feuer vor Freude und strahlt in Sonnengelbgold und Mondsilberchrom mit dem herrlichsten Frühlingstag im Triumph.
Das Leben ist ein Brummendes, Summendes, es hat 4 Räder und Sitze aus Leder.
Das Leben – unser Triumph.

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Auslese

Klimazonen

Du bist ein Globus in umgekehrter Form: Kopf und Fuß sind Äquatoren, der Pol liegt in der Körpermitte. Vom Scheitel läuft meine Hand den Längengrad Richtung Süden entlang, durchwandert Deine Klimazonen. Es herrscht große Hitze am Ohr und im Nacken, die Temperatur mildert sich erst im Tal Deines Rückens. Meine Finger besteigen den höchsten Gipfel, der Po ist der kühlste Punkt Deiner Welt. Doch schon wenige Schritte abwärts, wird es wieder wärmer, die Rückseite des Oberschenkels ist wohl temperiert. In die Kuhle Deines Knies, die ungefähr auf dem -33.1006° Breitengrad liegt, schmiege ich meine kleine Faust, bevor ich weiter über sanfte Wadenhügel zu den Zehenspitzen streife. Heiß sind die Füße wie der Kopf, Dein Norden und Dein Süden sind tropisch, Dein Zentrum eher gemäßigt, alles in fließender Verbindung durch Deinen Meridian. Du ein Planet und ich ein Wanderer, der Deine Klimawelten erkundet. Du ein Globus, invertiert.

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Auslese

Perfekt weil Unbezahlbar

Der perfekte Tag ist ein Konfekt, kühl die Schokolade, flüssig der Kern, mit Biss und zart schmelzender Hülle. Der perfekte Tag ist ein Augenblick im Leben, er ist kurz in seiner Dauer, aber er währt ewig und immerzu, weil er nie vergessen werden kann. Der perfekte Tag ist das, was passiert, weil es gerade dann passiert: Es gibt plötzlich nur noch Gegenwart, alles was davor oder danach ist banal und egal und so weit weg, als gäbe es kein Morgen und als hätte es nie ein Gestern gegeben. Der perfekte Tag wird niemals nur alleine genossen, er schenkt sich großzügig an mindestens Zwei – dabei muss er nicht geteilt werden, der Tag, denn er wird exponentiell mehr als er für einen alleine je sein könnte.

An einem perfekten Tag kann vieles sein: Vielleicht scheint Sonne. Vielleicht gibt es dicke Regentropfen, die auf heißes Pflaster klopfen. Vielleicht liegt Rücken im Gras und Augen sind auf Baumeskronen und Himmelsblau gerichtet. Vielleicht küssen Zungenspitzen Eis und Lippen berühren Haut und Münder werden benetzt von allerlei anderen Genüssen.

Der perfekte Tag kommt spontan. Und unerwartet. Und plötzlich. Und überraschend. Und ist gerade deshalb das: In höchstem Maße glücklich machend. Und damit ist er – perfekte Tag – einfach das: Unbezahlbar.

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Hochspannungsleben

~ Für MT ~

Mein Leben ist kein ruhiger Fluss, es steht unter Strom. Das Gefälle ist zuweilen so stark, dass das Rauschen von einigen Dingen den ganzen anderen Rest übertönt. Meine Luft ist elektrifiziert, Funken sprühen. Wasser spritzt und schäumt. So ist es, mein Leben: Es ist Wasserkraft, es ist Elektrizität. Auf dem Hochspannungsseil die Balance zu halten ist mitunter nicht einfach, zwischen wilden Strudeln nicht unterzugehen ebenso wenig.

Doch was wäre mein Leben schon ohne diese hohe Angespanntheit? Manchmal knallt eine Sicherung raus, doch ist mir das um so vieles lieber, als wenn ich mich in einem ausgetrockneten Flussbett wähnte oder alles um mich herum ständig nur ein totaler Stromausfall wäre. Weil Hochspannung ist, spüre ich. Und wenn sich sich der reißende Strom in ein quicklebendiges, freundliches Bächlein verwandelt, das springt und singt und klingt, dann fühle ich den Wandel. Dann geht mir ein Licht auf, alles ist fließend: Ohne diesen Wechselstrom leuchtete meine Herzenslampe keine einzige Minute nicht.

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Schlüssel zum Glück

Mein Schlüsselbund ist schmal geworden. Leicht wiegt das Metall in meiner Hand, aber schwer dreht sich der Schlüssel im Schloss. Es ist der letzte Tag bevor April das Zepter übernimmt, und das Wetter ist launisch. Voll verhagelt laufe ich von dort nach zu mir, der Wind bläst scharf, die eisigen Körner schneiden mein Gesicht.

Ostern ist eine Woche weit weg und es sind Tage, die gefüllt werden wollen wie Eierliköreier. Der sonnige März hat mich dazu verleitet, meinen Geldbaum in die Sonne zu stellen und nun wirft er die fleischigen Blätter ab und will nicht mehr wachsen. Aber es ist doch Frühling, denke ich, Wachstum und Kraftsaft überall, aber hier nicht. Mein Bäumchen stirbt.

Zeit also, neue Wurzeln zu ziehen. Ich sammele die Dinge ein, ordne sie und bin ratlos, weil die Blättchen nicht gedeihen wollen. Der grüne Daumen fehlt mir, ich dachte, dass die Sonne die Sprossen spießen lässt, aber es bleibt nichts wie es war. Der Frühling ist, was er immer gewesen ist: Damit etwas neu ist, muss es vorher gestorben sein.

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Tollschön

Du machst mich schön.
Schöner als ich je glaubte, sein zu können.
Du fragst mich, seit wann ich so hübsch sei.
Ich bin so hübsch, seitdem es Dich gibt um mich.
Bist Du hier, bin in Dir, mit Dir, bei mir.

Du machst mich bunt.
Bunter als ich je hoffte, sein zu dürfen.
Du fragst mich, seit wann ich so schillernd sei.
Ich bin so schillernd, seitdem Du mich berührt hast.
Bin ich bei Dir, bist Du mit mir, in mir, hier.

Du machst mich anders.
Anders, als ich dachte, ich selbst zu sein.
Ich frage mich, seit wann ich anders bin.
Ich bin anders, seitdem ich selbst bin.
Sind wir hier, zusammen, zweisam, ein Dir und mir.

Du. Ich.
Toi. Moi.
Wir. Nous.
Hier. Da.
Voici. Lá.

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