Hasard100

Philologe

075_Hasard100_Philologe

Eine Träne kullert über die rosige Wange des kleinen Franz. Zornig blickt er den Vater an, der ihn so jäh aus der Volksschule gerissen. Ein Bauer sollte der Sohn werden, so wie er. Die Hände des Jungen seien dazu gemacht, so der Vater, um die Früchte des Ackers zu ernten und nicht um die Seiten eines Buches umzuschlagen.

Doch der kleine Franz ist Philologe, seine Liebe zur Sprache ist unermesslich. Lehrer wird er, der Bauernsohn.

Standard
Auslese

Wunschdings

Wenn ich einen einzigen Wunsch frei hätte, ja, wenn ich mir irgendetwas wünschen dürfte, ich wollte gerne 20 Sprachen sprechen. Und schreiben. Ob ich mit einer weltgewandten Zunge und völkerverständigen Feder glücklicher wäre, weiß ich nicht. Aber ich könnte diese Welt ein bisschen besser verstehen, vielleicht. Ich könnte alle Bücher in den richtigen Zeichen lesen, ich könnte bei allen Wortklamauk spielend mitlachen. Meine Augen könnten Schilder auf der ganzen Erde verstehend abtasten, Mein Kopf könnte Symbole als sinnvolle Sätze begreifen und mein Mund könnte in verschiedenen Kulturen das Küssen lehren und lernen.

Ich wäre freier, überall hinzugehen, überall zu sein mit mir und mit neuem anderen auch. Ich wäre begabter, überall mir zuzuhören und allen anderen auch. Ich wäre beschwingter im Reden und gelöster im Denken. Ich wäre weiter im Geist und leichter in der Seele. Schwebend über den Kontinenten der Erde, ginge ich von irgendwo nach irgendwohin, denn eine kürzere und schnellere Verbindung zwischen allen Ländern gibt es nicht. Wenn es also ein Wunschdings gäbe für mich, so wären es die Sprachen der Menschen.

Standard
Auslese

Ein weißes Blatt, digital

Die Fläche ohne
irgendeinen Buchstaben
ziffernfrei
und damit das reine Blanko.
In Weiß, in Schwarz.
Am besten in Nichtfarben.
Und Unbeschrieben.
Oder unbemalt.
Zeugt von allem, was möglich.
Zeigt vor allem, was unmöglich.
Nichts ist
Alles.
Alles ist unabänderlich.
Wie das Weiß.
Wie das Schwarz.
Nichtfarbe untermalt
grün-leuchtende Schrift.
Worte laufen.
Ohne Sinn.
Aber Lyrik ohnehin.
Gute Nacht,
Welt in Bunt,
wenn Sonne Farben gibt.
Nur nicht
heute im Dunkel.
Mein Auge schließt,
die Lippe gepresst.
Head Ööd,
Welt da irgend.
Du bist da,
aber ich fehle.

Standard
Auslese

Ein weißes Blatt

Ein weißes Blatt,
was weißes hat.
Was weises hat.
Beschreib ich es,
kommt Blau ganz kess.
Mit blau
ist’s lau.
Nicht weiß ist’s mehr,
c’est ça, c’est clair.
Doch weiser wird es
mit Grün ganz kess.
So grün, so blau.
Mir wird ganz flau.
Jetzt Rot dazu,
bunt ist’s im Nu.
Am See ich sitze,
das Blatt bekritzle.
Nehm Grün noch mal,
dann folgt die Wahl
auf Schwarz zum Schluss.
Ein Schreibgenuss!

Standard
Reiseweise

F

Frankreich. La vie est belle. J’aime la France et j’adore l’expressions françaises.

Je suis une poupée aimée, ailée, baisée, bougée, bée, brisée, crevée, dopée, exigée, fêlée, fumée, gravée, galbée, gagnée, hâlée, avec idée, jurée, jetée, lavée, mêlée, moulée, marinée, née, ondée, parée, pelée, pliée, posée, prêtée, rusée, roulée, salée, sacrée, titrée, tapée, testée, visée, vouée et voûtée.

Ich bin eine Puppe, eine geliebte, eine geflügelte, eine gevögelte, eine gerührte, eine geöffnete, eine gebrochene, eine geschaffte, eine gedopte, eine gefragte, eine gesprungene, eine geräucherte, eine geprägte, eine geschweifte, eine gewonnene, eine gebräunte, mit gedanken, eine geschworene, eine geworfene, eine gewaschene, eine gemischte, eine gegossene, eine gebeizte, eine geborene, eine geflammte, eine geschützte, eine gehäutete, eine gebogene, eine gesetzte, eine geliehene, eine gewitzte, eine gerollte, eine gesalzene, eine geweihte, eine geadelte, eine geschlagene, eine geprüfte, eine gestempelte, eine gewidmete und eine gewölbte.

Standard
Auslese

Pflanzungen

Ich habe einen Balkon, der 3 Meter breit und 5 Meter lang ist. Er ist zur Nordseite ausgerichtet, die Sonne scheint nie darauf. Aber ich pflanze. Jedes Jahr neue Pflänzchen, und das mehrmals, weil ich den Schatten ignoriere. Nachtschattengewächse sind nicht mein Gemüt, also versuche ich die lichtgeneigten Wesen mit klarem Wasser am Leben zu erhalten. Das gelingt mir über ein paar Wochen hinweg, dann muss ich Abschied nehmen von den verkümmerten Blättern und Blühten. Ein grüner Daumen wurde mir wohl nicht in die Wiege gelegt, obwohl ich mit ihnen spreche, den zarten Gebilden.
Weiterlesen

Standard